Über die Ausstellung

Vernissage „Alles Echt“ am 03.09.2016 in der Städtischen Galerie, Wangen

-- Vor genau 50 Jahren – 1966 präsentierte Michelangelo Antonioni auf den Filmfestspielen in Cannes seinen später zum Kultfilm avancierten Streifen „Blow Up“.
Kaum jemand hat das Wesen der Fotografie, die Frage nach ihrer Authentizität, nach Wirklichkeit und Fiktion unterhaltsamer und zugleich tiefsinniger untersucht wie Antonioni in diesem Film.
In ihm macht der Fotograf Thomas in einem Park ungefragt Aufnahmen von einem Paar.
Beim Vergrößern, dem Blowup der Fotos des Paares, entdeckt Thomas abseits im Gebüsch eine Hand mit einer Pistole mit Schalldämpfer. Auf Abzügen späterer Fotos ist der Geliebte der Frau reglos unter einem Baum liegend zu sehen. Der Fotograf ist verunsichert. Hat er einen Mord fotografiert? Mitten in der Nacht kehrt er in den Park zurück und findet tatsächlich eine männliche Leiche, die immer noch auf dem Rasen hinter dem Gebüsch liegt. Als er kurze Zeit später in sein Atelier zurückkommt, bemerkt er einen Einbruch; die Abzüge und Negative, die den vermeintlichen Mord dokumentieren, sind gestohlen worden. Einzig übrig geblieben, da zwischen zwei Möbelstücke gerutscht, ist das Blowup des Bildes von der Leiche im Gras. Die Vergrößerung ist allerdings so stark, dass eine Person, die mit dem Vorgang nicht vertraut ist, auf dem Abzug kaum etwas erkennen kann, weil sich das unscharfe Bild der Leiche in der Körnung des Fotos gleichsam auflöst.
Am nächsten Morgen kehrt der Fotograf allein in den Park zurück, doch die Leiche ist verschwunden. Der Fotograf tritt den Heimweg an und kommt im Park an einem Tennisplatz vorbei, auf dem eine Gruppe junger Leute pantomimisch ein bizarres Tennisspiel aufführt, bei dem weder Ball noch Tennisschläger zum Einsatz kommen. Als der imaginäre Ball in seiner Nähe landet, wirft er ihn zu den Spielenden zurück. Dieser Film Antonionis ist vielleicht die beeindruckendste Aufarbeitung der Frage – oder des Statements – das uns hier zusammengeführt hat: ALLES ECHT! Oder: Alles?Echt? Bildet Fotografie die Wirklichkeit ab? Ist sie ein verlässliches Mittel, um sich der Realität anzunähern? Dokumentiert sie? Wenn ja was? Eine äußere „Wirklichkeit“? Den Seelenzustand des Fotografen? Was ist überhaupt
„Wirklichkeit“? Was ist Realität? Was ist „ECHT“? Als die Fotografie vor über 150 Jahren erfunden wurde, war zunächst allen klar, dass dieser Apparat, dieses Verfahren emotionslos und sozusagen ohne menschliches Zutun die Welt aufzeichnen würde. Es war das Mittel zur visuellen Dokumentation schlechthin.
Schon bald kamen an dieser Sichtweise Zweifel auf: Die Belichtungszeiten waren zunächst so lang, dass bewegte Objekte seltsam verschwommen erschienen. Schon bald darauf waren sie so kurz, dass die Bewegungen unnatürlich gestoppt, zerhackt erschienen. Die Auswahl der Motive, der dargestellten Objekte – war es nicht genau wie in der Malerei, dass der Auftraggeber bzw. der Künstler über die Erscheinung, den Blickwinkel, die Sujets entschied? Wo also war die Objektivität, das Echte? Wenn wir die Realität als das definieren, was keine Illusion ist, sowie nicht von den Wünschen oder Überzeugungen eines Einzelnen abhängig ist – vereinfacht sage ich mal: Das Universum mit allem, was darin ist.
Dann ist die Wirklichkeit der Ausschnitt aus dem Universum, der gerade auf mich wirkt.

Hier im Raum hat es im Moment vielleicht 22 Grad Celsius. Das ist eine messbare Realität. Aber ob 22 Grad zu warm, zu kalt oder gerade richtig ist – wie diese 22 Grad also auf mich, auf sie wirken(!) das ist für jeden von uns unterschiedlich.
Und so ist die Wirklichkeit für jeden Künstler unterschiedlich: Was ich aufnehmenswert finde, ob mich etwas anreizt (also wirkt), es jetzt, so wie es ist, oder später, in veränderter Form, künstlerisch zu assimilieren – das ist für jeden anders.
Und so ist es gut, dass wir heute hier 11 unterschiedliche künstlerische Positionen haben, die alle unterschiedlich mit ihrer individuellen Wirklichkeit umgehen.
Und ich möchte ihnen im Folgenden ganz kurz – schlaglichtartig – einen Zugang zu den Werken der einzelnen Künstler vermitteln – der natürlich auch wieder durch meine Sicht reflektiert ist. Und ich bitte sie, nehmen sie das als erste Anregung auf, trauen sie sich aber dann auch zu ihrem eigenen Urteil. Es wäre ungewöhnlich, wenn sie alles gleich intensiv ansprechen würde: die Arbeiten reflektieren die Wirklichkeit der Künstler – sie als Betrachter, als Rezipient haben aber natürlich ihre eigene Wirklichkeit. Folgen sie mir also nun bitte auf einer kurzen virtuellen Tour de force durch die Ausstellung „Alles Echt“ Im Ersten Raum (rechts vom Eingang) werden sie von den Arbeiten von Giulia Marchi, Maria Maier und Daniel Sigloch begrüßt. Gerade in den Arbeiten der 1976 in Rimini geborenen italienischen Fotokünstlerin Giulia Marchi ist das Konzept der Subjektiven Fotografie in besonderer Weise realisiert. Giulia verwendet häufig selbstgebaute Fotoapparate, die nach dem Prinzip der Camera obscura, der Lochkamera funktionieren. Bei der hier gezeigten Arbeit zu Joh. Seb. Bachs „Toccata und Fuge in D-Moll“ hat die Künstlerin sich in einem abgedunkelten, nur von einer Kerze erleuchteten Raum begeben. Mit einer an den Körper gepressten Lochkamera belichtete sie jeweils zu einem Abschnitt des Musikstückes ein Polaroid, während sie sich zur Musik bewegte. Die entstandenen Lichtspuren registrieren auf unmittelbare Weise die Emotion der Künstlerin in diesem Moment.
((Photographie (griech: photos graphein) schreiben mit Licht))
Ein anderes, aber nicht weniger intimes Konzept steht hinter ihrer Arbeit „Uscite di insicurezza“ (zu deutsch etwa „Unsicherheits-Ausgang“) in der sie Portraits von Freunden zeigt, die aber verhüllt werden, knapp angeschnitten sind und soweit in Farbe und Kontrast zurückgenommen sind, dass wir unsicher werden, ob wir den Dargestellten noch erkennen. Das Gesicht, das doch eine Person charakterisiert, identifiziert wird zum Ausgangspunkt der Unsicherheit.
Kontrastierend zu diesen sehr reduzierten Arbeiten finden sie in diesem Raum die farbstarken Arbeiten von Maria Maier (anwesend). Maria Maier (Malerin!) lebt und arbeitet in Regensburg und kann auf eine Vielzahl von nationalen und internationalen Ausstellungen in Galerien und Museen zurückblicken. Ihre Arbeiten wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet und befinden sich in vielen privaten und öffentlichen Sammlungen. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Spannungsfeld zwischen Malerei und Fotografie. Das Ausgangsmaterial zu den hier gezeigten Arbeiten entstand während eines Stipendiums im Tyrone Guthrie Center in Irland. Das Thema „Alles Echt“ findet sich in ihren Arbeiten buchstäblich in vielen Schichten wieder. Da sind zunächst die Blüten, die sie – unmittelbar nach der Entnahme aus der Natur, fotografiert hat – straight und ohne fotografische Manipulation. Daran schließt sich aber eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit dem Motiv an, die Kombination mit Farben, die erneute Reproduktion und der nochmalige individuelle Farbauftrag – am Ende ist jedes Bild ein echtes Unikat! In ihrer gestalterischen, wie auch technischen Virtuosität vereint Maria Maier die Pole Natur und Kunst auf ihre unverwechselbare Art.
Der dritte im Bunde in diesem Raum ist Daniel Sigloch (auch im gegenüberliegenden letzten Raum). In gewisser Weise die Brücke und Klammer zu den beiden anderen fotografischen Positionen:
Viele seiner Bilder entstehen in Italien, der Heimat seiner Frau, bei vielen spielt der unvorhersehbare Effekt der bewegten Kamera eine Rolle (siehe Giulia Marchi) – und seine Bilder entstehen aus viele übereinandergelegten Schichten, um aus der Schichtung der Stratigrafie schließlich etwas neues entstehen zu lassen (siehe Maria Maier). Daniel Sigloch (*1970) hat nach einer Lehre als Steinbildhauer von 1997 – 2004 an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert. Mittlerweile kann auch er auf eine reiche Ausstellungstätigkeit und zahlreiche Stipendien zurückblicken.
Das charakteristische im Werk Daniel Siglochs ist die Schichtung. Und so wie das Erscheinungsbild der heutigen Alpen das Ergebnis der Abfolge hunderter, ja tausender Schichten und ihrer Transformation in der geologischen Zeit ist, so sind die Bilder, die er uns präsentiert, das Ergebnis der Schichtung hunderter einzelner fotografischer Eindrücke. Die Zeit ist damit ebenfalls ein zentrales Thema seiner Arbeiten. Daniel Sigloch „re-konstruiert“ unseren Wahrnehmungsprozess: so wie unser Bild einen Landschaft aus der Überlagerung hunderter Einzelwahrnehmungen entsteht und unser Bild eines Menschen aus der Beobachtung seines Verhaltens, seiner Reaktionen seiner Emotionen in vielen kleinen Momenten sich aufsummiert (DER Schwarzwald, DAS Allgäu, DER Peter, DIE Claudia). In gewisser Weise entsteht aus der Summe das Destillat.
Im anschließenden Raum zwei finden sie dann die Arbeiten von Roland Rasemann und meine eigenen Werke.
Roland Rasemann: Geboren 1953 in Brandenburg: lebt seit seinem 2. Lebensjahr im Allgäu.
Seit 1971 ist er Fotoreporter in der Mantelredaktion der Schwäbischen Zeitung. Er ist unter anderem sechsfacher Preisträger beim “ Sportbild des Jahres“, dem Wettbewerb des Verbands der Deutschen Sportpresse. Damit ist auch schon klar, was sein fotografischer Schwerpunkt ist. In der Ausstellung sehen wir aber Bilder, die Roland Rasemann bei verschiedenen Ballett- und modernen Tanzbühnen aufgenommen hat. Dabei zählen natürlich die gleichen Tugenden, wie bei der Sportfotografie: Reaktionsschnelligkeit und einen Riecher für den Kulminationspunkt einer nicht-wiederholbaren Situation. Authentizität kann in der Tanzfotografie ganz unterschiedlich dargestellt werden: im Einfrieren des entscheidenden Augenblick ebenso wie in der Langzeitbelichtung, die uns den Fluss der Bewegung vor Augen führt. Das lässt sich an den Bildern von Roland Rasemann ausgezeichnet nachvollziehen. Zu den eigenen Arbeiten etwas zu sagen ist natürlich immer besonders schwer – dabei sollte es besonders einfach sein…
Auch in meinen fotografischen Arbeiten ist der Aspekt der Authentizität, des „Echten“ ganz wichtig. So beschäftige ich mich einerseits mit Street-Photography, also dem Suchen und Finden einer – bis zu einem gewissen Grad – unvorhersehbaren Wirklichkeit. Andererseits gestalte ich derzeit intensiv Stillleben – scheinbar das genaue Gegenteil der Street-Photography, ein Genre, bei dem Gestaltung, Organisation und Kontrolle im Vordergrund stehen.
Ich zeige Arbeiten aus meiner aktuellen Werkgruppe „Die Siebte Seite des Würfels“. Dabei handelt es sich um Stillleben, die ganz stark von der Stillebenmalerei des 17. Jhdt. beeinflusst sind. Dazu gehört als wichtiges Stilelement neben der Lichtführung auch die Präsentation der dargestellten Objekte im Massstab 1:1. Ich greife dabei bewusst tradierte Motivwelten und Themen auf – etwa das 5-Sinne-Motiv oder das Thema der Vanitas, der Vergänglichkeit und integriere dabei eine Meta-Ebene an Symbolik, die es dem Betrachter erlauben, das Bild auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu betrachten und – mal einfacher, mal schwieriger – zu dechiffrieren. Er mag also hinter der physischen Erscheinung der Dinge sozusagen die „Siebte Seite des Würfels“ suchen.
Im gegenüber liegenden Raum Drei erwarten sie die Arbeiten von Dirk Brömmel und Manuel Giron.
Auch Dirk Brömmel ist Kennern der Fotokunst-Szene kein Unbekannter. Der 1968 in Bonn-Bad Godesberg geborene, heute in Wiesbaden lebende Künstler absolvierte zunächst eine klassische Fotografenlehre, ehe er an der Fachhochschule Wiesbaden Kommunikationsdesign und dann (bis 2005) freie Kunst an der Kunstakademie in Mainz studierte. Seither reihen sich eine Ausstellung und ein renommierter Kunstpreis an den nächsten (u.a. den Reinhardt Wolf Preis 2005 und den Deutschen Architekturfotopreis 2011). Werke von ihm finden sich u.a. in der Sammlung des Centre Pompidou in Paris, um nur eines zu nennen.
Bei den hier gezeigten Werken mit Schiffsaufnahmen seiner Serie „Kopfüber“ stellt sich dem Betrachter unmittelbar die Frage „Alles Echt?“.
Dirk Brömmel spielt hier ganz meisterlich mit unserer Wahrnehmung - die extreme Aufsicht , das ungewöhnliche Format, dazu die artifiziellen Farben des Umfeldes – was ist da echt, was manipuliert?
Erst denkt man vielleicht an Spielzeugschiffe. Wollen wir Details erkennen, müssen wir nah an die Bilder herantreten – und verlieren automatisch den Überblick über das Ganze… Der Künstler setzt seine Bilder akribisch aus einer Vielzahl von Einzelaufnahmen zusammen. So entsteht einerseits, statt der für die Fotografie typischen Zentralperspektive, eine Parallelperspektive, andererseits aber auch eine schier unglaubliche Fülle an kleinsten Details. Umgeben sind die Schiffe von Farbflächen, deren Farbwerte wiederum den Motiven selbst entnommen wurden. So changieren die Bilder zwischen Hyperrealismus und Abstraktion.
Ebenfalls mit verzwickten perspektivischen Ansichten arbeitet der zweite Künstler in diesem Raum Manuel Giron. Gerade das urbane Umfeld hat es ihm angetan. Die Menschen, die Fülle an Eindrücken, an Perspektive und Blickachsen – er registriert und konzentriert es, sei es durch die Wahl enger Bildausschnitte, sei es dass er durch Spiegelungen und Schattenrisse neue Ebenen in das Bild einbringt, die den Bildraum, das visuelle Theater um uns herum, erweitern. Seine Arbeiten sind geprägt von einer kreativen Spielfreudigkeit und sinnlicher Lust am schauen und zeigen. Das Ergebnis sind farbenfrohe, leuchtende Bilder, geschaffen aus seinem inneren Fundus, der durch die Erfahrungen in Guatemala, seiner Kultur und seinem Licht geprägt ist. In seinen neueren Arbeiten geht Manuel Giron häufig noch einen Schritt weiter, indem er ein Kondensat seiner Eindrücke extrahiert, die Bilder am Computer überlagert, ihre Farbigkeit verändert, intensiviert. Durch die zusätzliche Einbeziehung von scheinbar textuellen schriftartigen Elementen werden die Bilder gleichsam zu Palimpsesten, die immer tiefere Schichten ihres Wesens freilegen.
Geboren ist der Künstler 1954 in Guatemala. Er studierte Kunst und Psychologie in Guatemala und Fotografie und Video in Barcelona. Heute arbeitet er als freischaffender Künstler in der Schweiz, Spanien und Paris und hat sich auch einen Namen als Schriftsteller gemacht.
Als nächstes kommen wir zu den Arbeiten von Rolf Bulmer und Siegfried Lauterwasser.
Mit Rolf Bulmer (geboren 1944, gestorben 2003) kommen wir zu einem Fotografen, der hier in Wangen zwar beheimatet war, der aber seine Motive ebenfalls auf der ganzen Welt fand. Nach einer Ausbildung zum Fotografen im Fotogeschäft seines Vaters hier in Wangen arbeitete er zunächst als Fotograf in München, bis er Mitte der 60er Jahre das Geschäft seines Vaters in Wangen übernahm. 1968 Meisterprüfung, mit 24 Jahren als einer der jüngsten Anwärter. Die Bilder von Rolf Bulmer führen uns zurück in die „klassische“ dokumentarische Fotografie: Ist er doch der aufmerksame Beobachter mit der Kamera, der uns teilhaben lässt an seiner Wirklichkeit. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Bildern seiner Heiligkeit des Dalai Lamas, den Rolf Bulmer immer wieder in beeindruckend dichten Aufnahmen zeigt. Beginnend 1980 hat Rolf Bulmer mit seiner Kamera den Dalai Lama auf vielen Reisen begleitet – nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch die Mongolei, Indien, Amerika, Österreich, die Schweiz und in die Skandinavischen Länder. Ein Konzentrat daraus können sie in der Ausstellung bewundern.
Bleiben wir bei der zumindest methodisch eher traditionell ausgerichteten Fotografie, so kommen wir als nächstes zu einem wahren fotografischen Urgestein. Der 1913 in Überlingen geborene und vor fast genau16 Jahren dort verstorbene Siegfried Lauterwasser. Er war einer der wichtigsten Vertreter der subjektiven Fotografie und Mitglied der in der Nachkriegszeit einflussreichen Gruppe fotoform (der auch u.a. Otto Steinert, Peter Keetman und Heinz Hajek-Halke angehörten). Typisch für seinen Fotografierstil ist die subjektiv-künstlerische Kombination aus Bewegung, Harmonie und Licht. Dabei fotografierte er Serien sozusagen vor der Haustür (etwa seine berühmte Arbeit von 1963 über die Fasnacht auf dem zugefrorenen Bodensee) aber auch in vielen Ländern von Spitzbergen bis Ostafrika. Wir sehen hier einige beeindruckende S/W-Bilder von Venedig. Besondere Berühmtheit erlangte Siegfried Lauterwasser aber als hauptsächlicher Fotograf Herbert von Karajans und exklusiver Festspielfotograf der von Karajan gegründeten Salzburger Opernfestspiele. Gerade in so einer engen Zusammenarbeit zweier Künstler wie hier: Lauterwasser und Karajan – können wir für uns wieder die Frage reflektieren: Alles Echt? Erhalten wir hier einen besonders authentischen, unmittelbaren Eindruck vom Wesen Karajans? Oder sind es eher besonders intensiv abgestimmte „Inszenierungen“? Und was davon wäre im Endeffekt „echter“?
Auch die letzten beiden Fotokünstler sind der Region hier eng verbunden: Zunächst Christoph Morlok der 1958 in Isny geboren wurde. Er hat die Fotografie von der Pike auf gelernt und lebt hier in Wangen als selbstständiger Fotograf. Dabei bietet er das gesamte fotografische Portfolio von Architektur- Industrie-, Landschafts- und Sachfotografie auf höchstem Niveau. Die damit verbundene technisch-handwerkliche Herausforderung kann man dabei gar nicht hoch genug einschätzen: Wo man als „Künstler“ noch kleine Unzulänglichkeiten mit einem flotten Spruch wegerklären kann, gibt es in der Auftragsfotografie, gerade im technischen Bereich, keine Ausreden. Neben der Auftragsfotografie verfolgt Christoph Morlok aber auch immer wieder künstlerische Projekte. Hier in der Ausstellung beeindruckt er uns nicht nur mit den mit Abstand großformatigsten Werken: seine Bilder vom Hochgrat sind immerhin 3,25 m lang. Er zeigt auch, wie Motive, die sozusagen vor der Haustüre liegen, durch ein gutes Konzept, minutiöse Planung und technisch brillante Ausführung zu einer großartigen Aussage geführt werden. Ähnlich wie die Bilder Dirk Brömmels (auch mit einem ähnlichen technischen Ansatz) erhalten wir einen Überblick – mehr noch aber einen Einblick in die Landschaft – das langsame Werden und Vergehen in Jahrmillionen, die zyklischen Wechsel innerhalb eine Jahres. Und die Frage nach der tatsächlichen und der angemaßten Größe des Menschen in diesem Prozess. Sozusagen als Gegenpol zu dieser – zumindest in der Ausführung sehr technischen Fotografie, greift Christoph Morlok aber auch immer wieder zur klassischen analogen Kamera um ganz reduzierte Schwarz-weiß-Bilder zu gestalten - gewissermaßen Fotografische Tagebuch-Notizen.

Zu guter Letzt erwartet uns noch ein besonderes Schmankerl: Henry Linder aus Kisslegg. Auch er ist erstmal Profifotograf, der sein Geld mit seinen Auftragsfotografien verdient.

Vieles von dem, bei Christoph Morlok gesagtem gilt auch hier. Henry Linder ist ein fotografischer Allrounder im besten Sinne. Nach einer Ausbildung zum Schriftsetzer folgte eine Ausbildung zum Fotografen bei Sigi Kercher in Hamburg von 1989 bis 1991, schließlich Assistenzen bei so bekannten Namen wie Dieter Blum oder Dietmar Henneka. Henry Linder ist jemand, der auch bei seinen Auftragsfotos wo immer es möglich ist, kleine Geschichten erzählt. Bilder voller Überraschungsmomente,, die in unserem Kopf einen kleinen Film ablaufen lassen“. In der Ausstellung sehen wir Bilder, zu einem Thema, das Henry Linder seit etwa acht Jahren immer wieder aufgreift: Er bittet Hennen und Hähne vor die Linse. Spontan wirkt ihr Beisammensein, obwohl es einen langen Atem braucht, bis der Fotograf sie genau da hat, wo sie jetzt sind. Bei aller Spontanität zeugen die Arbeiten von Konzentration auf das eine Motiv ohne viel Drumherum. Sie sind klar durchdacht und konsequent ausgeführt.
Und sie hinterlassen Eindruck: Die Hühner werden zu Persönlichkeiten, zu Individuen. Es dürfte schwer fallen, in ihnen ein potenzielles Abendessen zu sehen. Damit ändern diese Bilder – humorvoll wie sie sind – unseren Blick auf die Welt. Sie erreichen, was jeder Fotograf - auch jeder der 11 hie vertetenen Fotokünstler erreichen will.
So sehen sie in dieser Ausstellung ein breites Portfolio an fotografischen Positionen. Von Langzeitbelichtungen mit der Lochkamera bis zu Bildern, die in dieser Form erst im Rechner generiert werden konnten. Und trotzdem bilden sie alle ein Stück Wirklichkeit ab. Sie sind „Alle Echt!“ Und so kann ich sie jetzt nur ermuntern, sich von den 11 Künstlern auf eine Entdeckungsreise mitnehmen zu lassen. Marcel Proust: „Die besten Entdeckungsreisen macht man nicht in fremden Ländern, sondern indem man die Welt mit neuen Augen betrachtet.
“ ECHT.
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